Alle einer Meinung – echt gefährlich?

Brauchen gute Entscheidungen wirklich Dissens?

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„Wenn bei einer wichtigen Entscheidung sofort alle einer Meinung sind, sollte diese verschoben werden.“ Diese Führungsempfehlung las ich allen Ernstes in einem Magazin für Führungskräfte. Erst machte sie mich stutzig. „Oh“, dachte ich zunächst, „ist ja ’n interessanter Ansatz, lies doch mal!“

Je mehr ich mich damit beschäftigte, um so deutlicher wurde die Erklärung. Einstimmige Entscheidungen werden demnach führungstechnisch als „gefährlich“ eingeschätzt. Die offensichtliche Befürchtung: die Beteiligten hätten nicht genügend Zeit gehabt, unterschiedliche Standpunkte zu entwickeln.

„Autsch!“, dachte ich dann – und war erstmal sprachlos.

Erhebliche Fragen – an Führungspersönlichkeiten

Zunehmend spürte ich, wie sich Fragen in mir formulierten. Ist das vielleicht eine „typisch deutsche“ Empfehlung? Frei nach dem Motto: Haben wir denn wirklich noch kein Problem entdeckt? Schon bald wurden meine Fragen konkreter: Welches Vertrauen in die Mitarbeiter steckt wohl hinter einer solchen Empfehlung? Welche Entscheidungsfähigkeit billigt man Mitarbeitern dabei zu? Welche Fachkompetenz traut man ihnen zu? Welche Verantwortung für ihre Empfehlung dürfen sie eigentlich tragen?

Und dann  dringlicher: Wie respektiert man als Vorgesetzter bei einer solchen Führungsempfehlung eigentlich die getroffenen Entscheidungen des eigenen Teams? Welche wirklichen Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten hat ein Team und jedes einzelne Teammitglied dabei? Und welche Angst von Vorgesetzten wird hinter einer solchen Empfehlung vielleicht sogar verborgen?

Wertvolle Fragen an echte Führungspersönlichkeiten.

Noch immer: divide et impera?

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Diese moderne (oder offensichtlich noch immer aktuelle) Leadership-Empfehlung von „bloß-nicht-einer-Meinung-sein“ rüttelt mal wieder heftig an meinem Führungsideal. Unwillkürlich kommt mir dabei eine aus meinem Lateinunterricht bekannte Redewendung in den Sinn: „divide et impera“. Das steht für das Prinzip von „teile und herrsche“.

Dieses Prinzip „empfiehlt, eine zu besiegende oder zu beherrschende Gruppe (wie z. B. ein Volk) in Untergruppen mit einander widerstrebenden Interessen aufzuspalten. Dadurch soll erreicht werden, dass die Teilgruppen sich gegeneinander wenden, statt sich als Gruppe vereint gegen den gemeinsamen Feind zu stellen.“ (Wikipedia).

Die Redewendung ist wahrscheinlich nicht antik, wenngleich die damit bezeichnete politische soziologische Strategie sehr alt und z. B. in der römischen Außenpolitik ohne Zweifel wiederzuerkennen ist. Und auch heute noch wird sie in der „großen Weltpolitik“ wie selbstverständlich praktiziert.

Dieses divide-et-impera-Führungs-Prinzip habe ich während meiner Angestelltenzeit auch selber immer wieder erlebt. In meinen verschiedenen Führungspositionen bin ich häufig genug „angeeckt“, weil ich es in meinem Zuständigkeitsbereich nicht praktizieren wollte. Und nicht nur einmal habe ich Neid und Missgunst von Kollegen und sogar von Vorgesetzten auf mich gezogen, denen das gute Klima unter meinen Mitarbeitern ein ziemlicher „Dorn im Auge“ war.

 


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Vertrauen in Beurteilungsfähigkeit und Entscheidungskraft der Mitarbeiter?

Für mich war es selbstverständlich, meinen Mitarbeitern klare Aufgaben zuzuteilen und anschließend sicher zu stellen, dass die jeweilige Aufgabe im Gesamtzusammenhang des Teams erkannt wurde. Und dann – habe ich sie einfach machen zu lassen. Ich hatte das Vertrauen, dass sie selber am besten wüssten, wie sie das benötigte Ergebnis zustande bringen würden, auch wenn sie menschlich unter dem traurigen Teamergebnis und der damit verbundenen persönlichen Missachtung sehr zu leiden hatten.

Für Rückfragen stand ich immer zur Verfügung und wenn es auf dem Weg zum Ergebnis Verbesserungsvorschläge gab, habe ich sie mir immer angehört. Immer. Vorschläge aus der Praxis für die Praxis – was könnte Besseres passieren?

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Was davon ging, wurde umgesetzt, und was nicht ging, hatte immer eine sachliche Begründung, die ich meinen Mitarbeitern offen legte und nachvollziehbar machte. Und wenn es Vorschläge gab, hinter denen gleich alle standen, habe ich zugestimmt, dass es so gemacht werden könne, auch wenn ich dabei gelegentlich Zweifel hatte. Solche Entscheidungen habe ich dann auch „nach Außen“ als Teamentscheidungen vertreten und den Mitarbeitern den Rücken gestärkt, gelegentlichen Rüffeln von Vorgesetzten zum Trotz.

Je länger das so ging, umso besser wurden die Vorschläge – und Stück für Stück auch die Ergebnisse. Von allen Teams in einer Abteilung bekam ich seinerzeit das mit den meisten Rückständen – zur „Probe“, versteht sich. Nach einem Jahr hatten wir alle Rückstände aufgearbeitet (es waren wirklich irre Rückstandszahlen!). Auf dem Weg dahin haben wir gleich noch 42 Teams in dieser Abteilung überholt, waren dann also das zweitbeste. Und obendrein gab es jetzt ein super Klima in diesem Team, das anfangs kein anderer Kollege übernehmen wollte. Ich „wusste“ aber, es wird funktionieren.

Woher? Keine Ahnung. Ich war damals 29. Wie die meisten Führungskräfte habe auch ich „Führung“ nicht gelernt. Ich habe mich auf mein natürliches Bauchgefühl verlassen, habe so geführt, wie ich selber gern geführt worden wäre. Ganz natürlich.

Mitarbeiter wollen sich entwickeln

Wachstum ist neben dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit das wichtigste Bedürfnis von Menschen überhaupt. Das gilt uneingeschränkt auch für Mitarbeiter und stellt entsprechende Herausforderung in ihre Führung. Dabei geht es nicht nur darum, etwas Neues zu lernen. Menschen haben die (Grund-)Bedürfnisse, dazu zu gehören UND sich dabei selber zu entwickeln, auch im beruflichen Kontext.

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Sich kontinuierlich auch persönlich entwickelnde Mitarbeiter werden starke und selbstbewusste Mitarbeiter, die sehr gut selber entscheiden können, ob und wann sie ihre eigene Entwicklung fortsetzen wollen. Es macht einen wirklich großen Unterschied, ob Mitarbeiter aus der Sicht des Vorgesetzten „klein gehalten“ werden, sich möglichst nicht persönlich entwicklen sollen und so für den Vorgesetzten vermeintlich einfacher zu führen sind oder ob sie selber ihre Entscheidung treffen, wenn es im Moment mal genug Entwicklung für sie gab. Es ist Aufgabe des Vorgesetzten das zu respektieren und damit entsprechend umzugehen.

Um Mitarbeitern eine persönliche Entwicklungsmöglichkeit zu geben, braucht es auch heute noch deutlich mehr Führungskräfte, die auf solche Bedürfnisse von Mitarbeitern eingehen, ja diese überhaupt wahrnehmen können. Je besser Führungskräfte verstehen, sich selber gut zu führen können, umso entspannter können sie Bedürfnisse von Mitarbeitern wahrnehmen und aktiv darauf eingehen.

Mögliche Ängste von Vorgesetzten

Nicht so entspannt führen Menschen, die weder ihre eigenen Bedürfnisse wirklich kennen noch wissen, wie sie SELBER dafür Sorge tragen, sie zu erfüllen. Das fördert eigene Unsicherheit und schürt möglicherweise Ängste, die dann das Führungsverhalten bestimmen. Beispielhaft seien hier genannt

  • die Angst, Verantwortung zu übernehmen für Entscheidungen der Mitarbeiter und sie auch mit- oder durchzutragen
  • lieber „präventiv“ zu agieren als vielleicht dann auch mal „nur“ zu re-agieren, falls tatsächlich unvorhergesehene Hindernisse auftauchen
  • Angst davor, Verantwortung auch an Mitarbeiter zu übertragen (Kontrollverlust)
  • Angst vor Konflikten
  • Angst, sich ein Stück weit überflüssig zu machen oder gar ersetzbar zu sein (O-Ton Yvonne: „… wenn die Mitarbeiter einfach sagen würden: ‚Alles klar, Chef, mach mal ruhig Urlaub, wir haben hier alles im Griff'“)
  • Angst vor „starken“ oder selbstständig denkenden bzw. handelnden Mitabeitern
  • vielleicht sogar: nicht erfülltes Machtbedürfnis?

Wie kann es anders gehen?

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Die eingangs genannte Leadership-Empfehlung erschien in einem Kontext, um Führungskräften den Erwerb von Tools und Skills auf dem Wege zu einer Entscheidungsfindung „schmackhaft“ machen. Wir sind mit unserem Projekt Torhaus-Coaching überzeugt: der beste Weg, um andere zu führen, beginnt damit, konsequent sich selber zu führen. Natürlich zu führen.

Dann „braucht“ eine Führungskraft nicht ihre Mitarbeiter, damit es ihr selber gut geht. Und sie entgeht der echten „Führungsgefahr“, sich selber oder andere dabei zu verbiegen. Und diese Führungsfähigkeiten gehen dann viel leichter:

  • Vertrauen in die Mitarbeiter stärken
  • Ihre Entscheidungskompetenz entwickeln
  • Verantwortung für zu treffende Entscheidungen übertragen – auch für die Konsequenzen und
  • beides als Vorgesetzter mittragen
  • Freude an der Tätigkeit wecken und entwickeln
  • individuelle Fähigkeiten fördern
  • Raum und Gelegenheiten für die Entwicklung der Mitarbeiterbedürfnisse schaffen
  • das Wissen um die Fähigkeiten, Talente und (Fach-)Kompetenzen der anderen Teammitglieder ausbauen
  • das Erspüren des eigenen Bauchgefühls der Mitarbeiter aufbauen
  • besondere Fähigkeiten des Einzelnen entdecken und integrieren
  • das (Grund-)Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit respektieren und fördern
  • wiederkehrende Erfahrungen von (Selbst-)Wirksamkeit ermöglichen
  • miteinander statt gegeneinander wirken

 

Johann Wolfgang von Goethe formulierte die Maxime von „divide et impera“ um (in Sprichwörtlich, 1814) und fügte einen interessanten Gegenvorschlag hinzu:

Entzwei und gebiete! Tüchtig Wort;
Verein und leite. Bessrer Hort.

(Wikipedia)

Was denkst du: ist es wirklich „gefährlich“, wenn schnell alle einer Meinung sind? Erlebst du in deinem Umfeld Führungsverhalten nach dem Prinzip von „divide et impera“? Wie fühlst du dich selber dabei und wie gehst du damit um? Oder ist schnelle Einhelligkeit bei euch willkommen? Wir freuen uns sehr auf deinen Kommentar.

2 comments to “Alle einer Meinung – echt gefährlich?”
  1. Hallo ihr Beiden,

    das ist ja mal wieder ein grandioser Newsletter und Artikel! Glückwunsch dazu 🙂 ich freue mich, dass ich durch den Text wieder etwas lernen und mitnehmen durfte. Wirklich ein tolles Angebot von euch. Weiter so!

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